Mid(dle Game) life Crisis

Autor: Damien Peteani
In meinem letzten Artikel "Nutzt Schachspiel für das Leben" ging es vorwiegend um die wichtigen Eigenschaften des eigenen Ich´s und um die Konsequenzen einer Entscheidung. Ein großer Verfechter der Theorie, dass Schachspiel dem Leben hilft ist Garry Kasparov. Zu diesem Thema sprach er auch in diversen Sendungen. Ein Gegenbeispiel wäre Robert James (Bobby) Fischer, der sein leben nicht in den Griff bekam und einsam und voller wirren Vorurteilen verstarb. Lebensentwürfe zu nehmen um Theorien zu belegen ist nicht nur schwierig, sondern einfach unsinnig. Meiner Meinung nach hilft Schach genauso viel für das Leben wie Fußball spielen oder andere Tätigkeiten. Interessant ist eher der Aspekt der Parallelen zwischen dem Leben und dem Verlauf einer Schachpartie.
Die große Unbekannte im Schach ist nicht der Würfel, sondern alleine mein Gegner und die eigene Interpretation der aktuellen Ereignisse. Ohne Euphorie. Ohne Skepsis. Ohne zuviel Leidenschaft, aber doch mit Motivation schaue ich mir die aktuelle Stellung an. Neben der Rechenfähigkeit des Computers ist dies sein größtes Plus:
Er empfindet keine Enttäuschung über verpasste Gelegenheiten, deutet nicht die Gesten meines Gegners. Ihm ist es "egal" ob er eine Figur eingestellt hat. Er empfindet keinen Druck. Deshalb halte ich auch oft wenig von den besten vorgeschlagenen Zügen des Computers. Es geht nämlich im Schach nicht nur um gute Züge, sondern auch um andere Komponenten. Ans Brett treten 2 Kontrahenten, die gerade im Stau standen, sich heute morgen mit dem/der Partner/in gestritten haben. Die schlecht schliefen, gerade erfahren haben, dass ein Mitspieler mal wieder unentschuldigt fehlt, dessen Herauforder der Angstgegner ist und vieles mehr. Das alles gilt es auszublenden/beiseite zu schieben. Das ist schwer (möglich).
Im Mittelspiel geht es an das Eingemachte. Ich evaluiere wer besser steht, wo die Schwächen des Gegners sind, welche Figuren bei mir schlecht stehen, was der kurzfristige und was der langfristige Plan ist. Und dann erlebe ich die Enttäuschung, dass ein Plan nicht aufgeht, positive Emotionen, wenn ich glaube dem gegnerischen König zu Leibe rücken zu können. Mein polnischer Schachtrainer pflegte immer zu sagen:"Damien, machst du 40 normale Züge und der Gegner verstört sich selbst." Und ich nachhinein hat er recht, aber was sind diese "normalen" Züge? Der Gegner darf mich nicht beeinflussen: Seine gute DWZ, seine schlechte DWZ, Seine Größe, seine kleine Statur. Oder wie meine Frau mal nach einer Ihrer ersten Partien zu sagen pflegte:"Er hatte einen grauen Bart und ich dachte er wäre gut". Ich selbst hatte mal früher mit 8 Jahren weiße Fussballschuhe ala Giovanne Elber. Das machte Eindruck bis mir der 3. Schuss hintereinander vom Spann gerutscht ist.
Ich muss mit alle dem während einer Partie umgehen und das fällt sehr schwer. Leider ist nicht mal ein Frustfoul wie beim Fußball möglich. Die Emotionen bleiben bei mir.
Und so ist es auch im Leben. Ich begegne vielen Blendern mit tollen teuren Autos und 1.700 EURO Bruttolohn. Krisen (Tod, Krankheit, Scheidung, Kündigung, Nichterfüllung meiner Lebensträume etc.). Das Leben fragt mich, ob ich weiter machen will. Und falls ja, wie. Muss ich Dinge korrigieren, Brücken abbrechen, Lebensträume begraben? Schach hat den großen Vorteil, dass die nächste Partie ganz bestimmt bald kommt. Dann habe ich mir die Letzte angeschaut, im idealfall daraus gelernt (Reflexion) und kann es besser machen (Anwendung des Reflexionsergebnisses). Ich kann auch jemanden um Rat fragen, wenn ich in einer Stellung nicht weiter wusste (Guter Spieler (Mensch mit Lebenserfahrung, Psychologe, Freund meines Vertrauens). Aus der Niederlage kann ich viel lernen oder einfach alles Hinwerfen (Ein Mitglied aus unserem Verein sagt nach jeder Niederlage, dass Sie mit Schach aufhören wolle).
Das königliche Spiel bleibt ein Spiel. Auch wenn Lessing sagte: Das Schach ist für das Spiel zu ernst, für den Ernst zuviel Spaß.
In der Niederlage kann man sehr viel vom Menschen sehen. Wie sehr hasse ich es, wenn ein Gegner mir nach der Niederlage zeigen will, wie viel besser er doch stand. Das ist einer, der aus der Niederlage nichts lernen wird. Das sind all jene, die die Nacht davor nicht gut geschlafen haben, Tage vor der Partie krank waren oder gerade viel Stress auf der Arbeit haben. Was ergibt die Reflexion der Partie wie der Situation des Lebens: Die Schuld liegt nicht bei mir, sondern bei Umständen oder Dritten. Weder Charakter noch Spielstärke werden sich verändern.
Was bleibt nach alle dem zu sagen? Eine Niederlage im Schach richtig zu reflektieren ist äußerst wichtig und gliedert sich analog zum "echten Leben":
Verantwortung übernehmen
Damit umgehen lernen (Das Rad lässt sich nict mehr zurück drehen)
Situation durchgehen (Partie analysieren)
Hilfe durch Dritte im Anspruch nehmen
Arbeitsfelder und Musterfehler erkennen
Maßnahmen darauf ableiten
Übungsfelder erkennen (Taktikaufgaben)
Erneut in der Praxis erproben